
Leseprobe
Die Leseprobe beschreibt ein Schlüsselmoment aus Dark Queen. Es handelt von Jezebel, einer rätselhaften Dunkelfee, welche neben der Hauptfigur Königin Isla die wohl ambivalenteste Rolle im Buch einnimmt. Jezebel agiert zwar im Hintergrund, hält dort jedoch die Fäden in den unnachgiebigen Händen. Auf ihre Weise ist sie Isla treu ergeben, verfolgt zugleich aber eigene rachsüchtige Pläne.
Als diese auf tödliche Weise durchkreuzt werden, offenbaren sich Jezebels gewaltiger Zorn und zerstörerisches Potenzial in einem blutigen Albtraum der Vergeltung.
Schauplatz der folgenden Szene ist ein verfluchter See, der sich wie ein roter Faden durch Fabia Mortis‘ Bücher zieht.
Dark Queen
Adamantium
Das fahlbleiche Rund eines voll erblühten Mondes beschien das dunkle Wasser, das sich leicht kräuselte und scheinbar friedlich raunte. Die Fee ließ sich nicht von dem trügerischen Idyll täuschen. Denn unter der ruhigen Oberfläche fühlte sie einen grausamen unnachgiebigen Tod flüstern. Tief im schlammigen Seengrund lauerte eine äonenalte Energie, die jede Seele in die Tiefe riss, derer sie habhaft werden konnte, um sich an deren warmen, frischen Blut zu laben.
Schon oft war sie nachts träumend am Gestade dieses unheilvollen Pfuhls gestanden und hatte ihre ruhelosen Gedanken auf Wanderschaft geschickt. Bisher hatte sie die fremdartige Präsenz darin stets respektiert und sich vom Wasser fern gehalten. Obwohl sie mit dem Verstand erfasste, dass die todbringenden Kreaturen, die in den trüben Tiefen hausten, ihr vermutlich nichts anhaben konnten. Vielleicht lag dies auch gar nicht in deren Absicht. Denn Geschöpfe von gleicher Art erkannten sich an jedem Ort der Welt, und sei er auch noch so weit entlegen. Sie fügten einander kein Leid zu, hatten sie doch ein Ding gemeinsam, das in jedem Winkel des Universums unantastbar war: Die Magie. Egal, in welcher Gestalt sie sich auch zeigen mochte.
Doch in jener Nacht lag eine Veränderung in der Luft, so als ob etwas sich im uralten Gefüge der Macht verschoben hatte. Jezebel konnte diese Transformation wie einen feinen Hauch auf der empfindsamen Haut spüren. Etwas, das in dem zähen Morast im fernen Seengrund verborgen lag, rief beharrlich nach ihr. Es zog sie unwiderruflich zu sich herab. Ein fremdartiges Gefühl drang bis ins stählerne Mark ihrer feingliedrigen Knochen. Sie würde zur Mitternachtsstunde den magischen Pakt brechen und sich etwas aneignen, von dem sie lediglich wusste, dass sie es unbedingt den eiskalten Fluten entreißen musste. Entschlossen entledigte sie sich des Gewandes und stieg, so nackt und bloß wie sie einst den Nebelfeldern am Rand der Welt entsprungen war, in die schwarzen Wogen.
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Eiskaltes Nass schlug über ihrem bleichen Leib zusammen und umfloss sie wie die saugnapfbewehrten Tentakel eines jener sagenumwobenen vielarmigen Wassertiere, die so riesenhaft waren, dass sie einen ausgewachsenen Menschenmann mit ihrem scharfen Schnabel in einem Stück verschlingen konnten. Mit energischen Schwimmzügen tauchte sie in die lichtlose Tiefe hinab. Das hüftlange Haar wehte wie eine helle Fahne im dämmrigen Nass.
Ein strahlendes Aufblitzen in ihrem Geist zog sie unbewusst zu einem ganz bestimmten Punkt. Ohne sich umsehen zu müssen, erkannte Jezebel, dass sie sich nicht allein im Wasser befand. Überall um sie herum und mit ihr bewegten sich gespenstische, wandelhafte Wesen, die so wie sie selbst aus den Schatten der Anderswelt stammten. Doch sie taten ihr kein Leid an. Sie beobachteten sie lediglich und folgten der Fee zu dem ihr selbst noch unbekannten Ziel.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, die vielleicht nur wenige Minuten gedauert hatte, war sie schließlich im Herzen des Sees angekommen. Sie fühlte, dass sie den tiefsten Flecken auf seinem verschlammten Grund erreicht hatte und sah sich zögernd um. Ein tonloses, nachdrückliches Vibrieren, das eindringlich in ihren Adern widerhallte, wies Jezebel den Weg durch die Dunkelheit.
Ohne genau zu wissen, wonach sie eigentlich suchte, begann sie fieberhaft im zähen Schlick zu wühlen. Sie war so auf ihr Tun konzentriert, dass sie nicht einmal bemerkte, wie Dutzende Schatten sie nun aus nächster Nähe umgaben und jede ihrer Bewegungen aufmerksam wahrnahmen. Dabei hielten sie sich aber stets knapp außerhalb der Reichweite.
Mit tastenden Fingern erspürte sie schließlich einen harten, spitzen Gegenstand. Er fühlte sich metallisch an. Als Jezebel ihn fest umfasste, fühlte sie sich von einem schneidenden Schmerz durchzuckt. Blut floss aus einer brennenden Wunde an ihrer rechten Hand und vermengte sich mit dem schmutzigen Wasser. Die Schattengeschöpfe um sie herum gerieten in Bewegung. Die Fee konnte deren zunehmende Unruhe und Aufregung nunmehr körperlich spüren. Fest umklammerte sie das scharfe Ding. Vermutlich handelte es sich um einen Dolch. Ein lautloses, gleichmäßiges Vibrieren ging von ihm aus und durchdrang ihren Leib und Geist wie eine verlockende, fremdartige Melodie. Was auch immer es war, es gehörte ihr, und sie würde es mit sich an die Oberfläche nehmen. Die Fee wusste, sie hielt den Schlüssel zur Rache in Händen. Niemand würde ihr dieses todbringende Instrument wieder entreißen können.
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Eines der Wesen löste sich aus dem gespenstischen Schwarm und näherte sich. Langsam und vorsichtig fasste es mit körperlosen Fingern nach ihrer verletzten Hand und trank mit gierigen Schlucken von dem verlockenden Feenblut, das dickflüssig hervor strömte. Ein sehr angenehmes, ja, ein nahezu zügelloses Glücksgefühl bemächtigte sich
Jezebels. Sie schloss die Augen und ergab sich willig der rauen Zunge, die schlangengleich und geschickt über die zarte Haut strich. Irgendwann ließ die Geisterseele von ihr ab, gab sie wieder frei und schwebte abwartend im Wasser.
Die Fee stellte erstaunt fest, dass die Wunde verschlossen und keine Spur einer Verletzung zurückgeblieben war. Fragend blickte sie das Geschöpf an. Es näherte sich erneut, fasste nach Jezebels Hand, welche den Dolch hielt, und brachte sich blitzartig selbst eine blutende Wunde am Arm bei. Auffordernd hielt sie ihr diesen nun hin. Schwarzes Blut rann wie ein giftiges Rinnsal in die schleimige Brühe. Jezebel zögerte keine Sekunde und verbiss sich mit all ihrer Energie in die düstere Kreatur, saugte deren Lebenskraft und die darin pulsierende Macht wie eine Verdurstende in sich auf. Mit verzückter Wollust inhalierte sie die machtvolle, archaische Magie, die sich mit ihrer eigenen vermengte und von nun an durch ihre Adern fließen würde. Bis ans Ende aller Zeiten. Irgendwann verlor sie das Bewusstsein und fiel in die Dunkelheit.
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Es war kalt. Eiskalt. Mühsam öffnete sie die verkrusteten Augen und sah sich um. Sie lag am weichen Uferstrand des Sees. Feiner Sand rieselte über ihre blasse Haut und in sämtliche Körperöffnungen. Der Mond strahlte erhaben und gleichgültig wie eh und je in die stille Nacht.
Langsam richtete sie sich in eine kniende Position auf und sah prüfend an sich herab. Rein äußerlich schien sie völlig unversehrt. Nichts wies auf die Veränderung hin, die in ihrem Inneren stattgefunden hatte. Ihr Blick wanderte gemächlich zur ruhigen Oberfläche des Sees, der silbrig im Mondlicht funkelte. Keine Spur war von der verderbten Macht geblieben, die unter der glatten Oberfläche existierte und nach lebendigem Blut gierte. Jezebel lächelte wissend.
Hastig tastete sie an ihre Seite und atmete erleichtert auf, als sie die sorgsam polierte Klinge des Dolches fühlte. Bedachtsam legte sie ihn auf die schlanken Oberschenkel und besah sich das Ding genauer, welches sie da so entschlossen in die Welt zurück befördert hatte. Kurzfristig stockte ihr Atem, als das glänzende Material im fahlen Lichtschein schimmerte und sie ihr stolzes Antlitz darin wie in einem Spiegel erblickte.
Sie hielt ein uraltes, exquisites Meisterwerk aus purem Adamantium in Händen. Es funkelte so hell und klar wie eine Schatzhöhle, die bis zum Rand mit geheimnisvollen Schneejuwelen gefüllt war. Die Klinge war messerscharf, fein ziseliert und über und über mit verschlungenen Mustern verziert. Erstaunt sah sie auf die vertrauten Schriftzeichen ihres Volkes. Zwar waren sie von einer fremdartigen und sehr alten Textur, wirkten aber dennoch wohlbekannt.
Plötzlich fiel es Jezebel wie Schuppen von den Augen. Dies war der verschollene Dolch der Könige von Anwh. Einst war er von den Meisterzwergen geschmiedet worden, die sich oft der komplizierten Schrift der Dunkelfeen bedienten, um ihre Kunstwerke zu schmücken und mit Zauberkräften zu belegen. Es hieß, einer der Herrscher sei durch eben jene Waffe um sein Leben gebracht worden. Irgendwann war sie verloren gegangen und schließlich in Vergessenheit geraten.
Ihr Lächeln vertiefte sich. Es war zweifelsfrei der sagenhafte Königsdolch, welcher ihr da von einer launischen Schicksalsgöttin so völlig unvermutet in die Hände gelegt worden war. Jezebel betrachtete es in gewisser Weise als geziemend, dass die Vergeltung in das prachtvolle Gewand eines unermesslich kostbaren Adamanten gekleidet sein würde.
Es war der Stoff, aus dem einst das Königreich von Anwh erstanden war. Sie würde dieses Geschenk wohl für ihre rachsüchtigen Pläne zu nutzen wissen. Erik war bereits tot. So wie auch sein armseliges Land längst dem Untergang geweiht war. Es war ihm nur noch nicht bewusst.
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